Spätestens nach den verstörenden Übergriffen von Wölfen auf Schafe in der Ortslage Stücken und mehrerer Nachbardörfer hätten sich deren Bewohner konkrete Maßnahmen seitens der Politik gewünscht. Möglicherweise wäre die Aufnahme des Wolfes in das brandenburgische Jagdgesetz (BbgJagdG) sinnvoll, um dessen Bestand in einem verträglichen Maß zu halten und damit sowohl die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten, als auch die Übergriffe auf Nutztiere zu verringern. Da der Wolf jedoch eine streng geschützte Tierart in Deutschland ist und nachweislich weder Schoßhunde spazierender Stadtbewohner, noch Fohlen preisgekrönter Hengste, oder gar Kinder oder Rentner dem Wolf zum Opfer fielen, ist von Maßnahmen gegen den Wolf derzeit keine Rede.
Ein Schutzzaun nach höchsten Ansprüchen
Stattdessen überrascht das brandenburgische Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) mit einem wegweisenden Modellprojekt zum Schutz der Bevölkerung und der Nutztiere bei gleichzeitiger größtmöglicher Schaffung von Freiräumen für die Wölfe. In Kürze wird mit einer vollständigen Umzäunung der Stückener Ortslage begonnen. Damit wird erstmals die Anlage 1 “Zumutbare Maßnahmen zum Schutz von Weidetierbeständen vor Wolfsübergriffen” der brandenburgischen Wolfsverordnung (BbgWolfV) auch auf den Schutz von Menschen ausgedehnt und sogar noch erweitert. Konkret wird in den kommenden Tagen mit dem Bau eines 4 Meter hohen Wolfsschutzzaunes begonnen. Ein 2 Meter tiefer Betonsockel dient als Untergrabungsschutz, 13 stromführende Litzen mit jeweils mehr als 50.000 Volt Spannung sollen den Wolf vom Überklettern abhalten.
Der Strom wird von zehn 150 Meter hohen Windkraftanlagen erzeugt, die auf der höchsten Fläche der Gemarkung errichtet werden. Nach dem Vorbild des nahe gelegenen Borkheide werden die gesunden, aber beim angestrebten Brandenburger Waldumbau unerwünschten, Kiefern auf dem Weinberg abgeholzt und mit besonders schlanken Masten ökoenergiegerecht ersetzt. Mit einer Gesamtlänge von knapp 4 Kilometern wird der Zaun das Dorf vollständig umschließen. Die Kosten von rund 10 Millionen Euro werden von einem Ministeriumssprecher beiseite gewischt: “Im Endeffekt sind es nur Steuergelder, einzig und allein das Wohl des Wolfes, äh, der Menschen zählt.”
Das Fahrrad wird das Verkehrsmittel der Wahl
Mit Fertigstellung des Zaunes müssen sich die Stückener auf allerlei Einschränkungen gefasst machen. Das Dorf wird man fortan nur noch durch streng bewachte Türen verlassen können, durch die maximal ein Fahrrad passen wird. Somit entfällt der Bedarf eines Autos. Einkäufe des täglichen Bedarfs können per Fahrrad in den nur 10 Kilometer entfernten Nachbarorten Beelitz, Michendorf und Trebbin erledigt werden. Förderanträge für Lastenfahrräder werden großzügig genehmigt. “Der Verzicht auf jeglichen Autoverkehr ist ein weitere effektive Maßnahme, um das Überfahren von Wölfen zu verhindern.” so das Ministerium. Auf die Nachfrage, ob sich denn Radfahrer von Wolfsangriffen bedroht fühlen müssten, antwortete der Ministeriumssprecher ungewohnt pragmatisch: “Dann muss er halt etwas schneller fahren.”
Viele Probleme werden gelöst
Innerhalb Stückens gelten alle Straßen fortan als Fußgängerzone. Dies sorgte für spontane Jubelexzesse bei der Bürgerinitiative für einen sicheren Schulweg an der L73/Zauchwitzer Straße. Leider wird ein sicherer Schulweg zum Schulbus nicht mehr nötig sein. Die Schulpflicht wird in eine Homeoffice-Schulpflicht umgewandelt. Auch das Landesamt für Straßenwesen sieht nur Vorteile in der Abriegelung der Ortslage. So können hunderttausende Euro für die längst fällige Sanierung der Ortsdurchfahrt eingespart werden.
Dass aufgrund fehlender Zugänglichkeit zu den umliegenden Ackerflächen und Wiesen nun praktisch keine Landwirtschaft oder artgerechte Tierhaltung im ländlichen Raum betrieben werden kann, ringt dem auch für Landwirtschaft zuständigen Umweltministerium nur ein müdes Lächeln ab: “Wir setzen in den kommenden Jahren auf möglichst günstig produzierte Bio-Lebensmittel aus Osteuropa und Südamerika, die schon jetzt mit selbst erfundenen Qualitätssiegeln all unseren Erwartungen entsprechen.”
Zu guter Letzt ist auch das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg, kurz Gesundheitsministerium, von der Errichtung der Zaunanlage begeistert: “Binnen weniger Tage werden wir aufgrund fehlender Bewegungsräume der Einwohner den Covid-19/Corona-Inzidenzwert in Stücken auf Null gesenkt haben.” Schon jetzt laufen umfangreiche Planungen, das Pilotprojekt auch für eine Abriegelung von Berlin umzusetzen. Abriss- und Rodungsarbeiten auf dem ehemaligen Mauerstreifen haben bereits begonnen.
Trotz vieler offensichtlicher Einschränkungen können sich die Stückener damit trösten, dass sie nunmehr gesund und munter inmitten des Natur- und Wolfsschutzgebietes Nuthe-Nieplitz-Niederung (NaWoSchuGeb NNN), dem allerersten seiner Art in Deutschland, leben werden.
Über die fortschreitenden Bauarbeiten werden wir hier bei Stücken bloggt natürlich weiter berichten. Das nächste Mal allerdings nicht vor dem 1. April 2022.
10 Kommentare
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😂👍
😎🤫
großartig 🙂
Autor
Dankeschön 😉
Heute “Witzig”, morgen Realität 😉
Autor
Man sollte dem Irrsinn einfach ab und an den Spiegel vorhalten. Dann ist es nicht ganz so schlimm.
Super geschrieben
Autor
Dankeschön.
Der war gut😀👌🏻!
Autor
Du wirst Dich noch wundern, wenn Du in den kommenden Wochen in den Garten schaust 😉